Die Motette Virga Jesse darf als mustergültig für den A-cappella-Stil im chormusikalischen Repertoire Anton Bruckners gelten, der vor allem von den großen Extremen lebt: In effektvollen Crescendo-Linien durchschreitet das Stück ein ganzes Spektrum dynamischer Nuancen, die Tonräume der Einzelstimmen werden nahezu vollständig in Anspruch genommen und die Harmonieverläufe bewegen sich in raschen Wechseln durch einen großzügig bemessenen Tonraum. Der textlich auf den Prophezeiungen Jesajas basierende Mariengesang fordert von den Ausführenden folglich ein hohes Maß an Konzentration, Sensibilität und Reaktionsfreudigkeit. Er belohnt jedoch durch seine eindringliche Intensität und steht für nichts weniger als den Inbegriff romantischer Kirchenmusik.